Kennst du das? Du hast eine tolle Idee für eine Geschichte, einen Roman, ein Buch, ein Projekt, gehst voller Enthusiasmus an die Arbeit. Doch es dauert gar nicht lange, bis sich neue Gedanken in deinem Kopf festsetzen. Ist das wirklich gut? Und auch gut genug? Gibt es das nicht schon alles, und auch viel besser? Herzlichen Glückwunsch, dein innerer Kritiker hat sich zu dir eingeladen! Und möchte am liebsten gleich zum Tee bleiben und dir all seine Bedenken erzählen. Da bleibt dann natürlich keine Zeit mehr für dein Projekt. In diesem Artikel erkläre ich dir, wie du mit diesem ungebetenen Gast konstruktiv umgehst. Und es auch gar nicht mehr so schlimm findest, wenn er wieder mal zu Besuch kommt.
Wer ist überhaupt dieser innere Kritiker?
Mein innerer Kritiker meldet sich immer dann, wenn ich etwas Neues versuche. Wenn ich einen Text veröffentliche, in dem ich viel von mir selbst preisgebe. Wenn ich ein neues Genre ausprobiere. Oder – ganz schlimm – wenn ich andere Menschen um Hilfe bitte. Dann ist er da wie eine Katze, die das Rascheln der Leckerli-Tüte gehört hat. Er schleicht sich in mein Denken, kritisiert und nörgelt, leise, aber doch deutlich. Wie ein Satz in Klammern. Und er setzt alles daran, mir mein Vorhaben wieder auszureden.
(Wie, Yvonne, “er”? HIER genderst du nicht? Was soll das? Tja, mein innerer Kritiker ist eben männlich. Willst du das wirklich so schreiben? Das ist total doof! Aber es ist doch so … )
[perfectpullquote align=”full” bordertop=”false” cite=”” link=”” color=”” class=”” size=””]Plötzlich ist er da wie eine Katze, die das Rascheln der Leckerli-Tüte gehört hat.[/perfectpullquote]
Diese kleine Stimme tragen wir alle in uns. Es ist die Stimme all der Menschen, die uns geraten haben, lieber vorsichtig zu sein. Lieber zuhause zu bleiben und mit dem zufrieden zu sein, was wir haben. Keine Risiken einzugehen. Die es mit uns gut gemeint haben, aber wir wissen ja alle, dass “gut gemeint” das Gegenteil von “gut gemacht” …
(Oh, Klischee … Gähn!)
Okay, es ist die Stimme all derjenigen, die negative Erfahrungen mit uns geteilt haben, um uns davor zu schützen, sie selbst zu machen. Die ihre eigenen Ängste an uns weitergegeben haben. Und das Erstaunliche ist, dass die meisten von uns mindestens genauso viel Bestätigung, Ermutigung und gute Zusprache erhalten haben. Oft von denselben Menschen. Nur scheinen die viel weniger ins Gewicht zu fallen als die Warnungen, Sorgen und pessimistischen Szenarien.
(Es kommt halt immer auf die richtigen Argumente an.)
Und so haben wir diese Stimmen verinnerlicht. Sie sind zu unserem inneren Kritiker geworden, der kein gutes Haar an dem lässt, was wir so tun. Je wichtiger uns eine Sache ist, desto mehr dreht er auf. Desto wichtiger ist wie auch für ihn.
5 Tipps, wie du mit deinem inneren Kritiker umgehen kannst
Wenn du deinen inneren Kritiker zum Schweigen bringen willst, gehst du am besten wirklich mit ihm um, wie mit einem lästigen Gast. Keinem, den du einfach ignorieren kannst, sondern einem, der zu deinem Leben gehört und mit dem du nun mal irgendwie klarkommen musst. Bei mir funktioniert das mit den folgenden 5 Schritten.
Tipp 1: Erkennen.
Dein innerer Kritiker ist sehr gut darin, sich zu verkleiden. Als Vernunft. Oder als Erfahrung. Er wird dir Dinge als Wahrheiten präsentieren, die nichts anderes als Glaubenssätze sind.
(Vernunft und Erfahrung sagen ja auch … Psst.)
Um Strategien zu entwickeln, wie du trotzdem deine Ziele erreichst, musst du ihn erst mal erkennen. Und feststellen, dass das, was gerade in deinem Kopf herumspukt, eben keine Tatsachen sind, sondern Sorgen und Ängste.
Mit ein bisschen Übung erkennst du deinen inneren Kritiker ganz schnell. Bei mir macht er sich immer bemerkbar, indem er externe Validierung einfordert. Weil ich selbst ja gar nicht wissen kann, ob die Dinge, die ich vorhabe, funktionieren werden. Aber irgendjemand anders wird es besser wissen. Egal, wer. Nur nicht ich.
Das ist ziemlich typisch für den inneren Kritiker. Wir haben genau dieses Verhalten schon in der Kindheit gelernt, und es hat sich bis in unser Berufsleben fortgesetzt. Immer war da jemand, der uns gesagt hat, was wir tun sollen, was gut ist und was nicht so gut ist. Wenn wir gemacht haben, was andere uns gesagt haben – sei es zuhause, im Kindergarten oder auch später auf der Arbeit – sind wir belohnt worden. Durch Aufmerksamkeit, Anerkennung, Geschenke, Geld. Das nennt man positive Verstärkung. Eine der wirksamsten Methoden zur Verhaltensänderung.
(Prüf das besser noch mal nach. Oder hast du neuerdings Ahnung von Psychologie? Ja, schon, das weißt du doch. Aber das war nur dein Nebenfach. Das ist gar nichts. Hm.)
Was uns lange Zeit hilft, uns in dieser Welt zurechtzufinden und sicher durchs Leben zu kommen, führt irgendwann dazu, dass wir uns nicht mehr trauen, die Dinge zu tun, an die wir glauben und die uns am Herzen liegen. Zumindest nicht, ohne dass uns jemand, der es vermeintlich besser weiß als wir, die Bestätigung gibt, dass wir nicht ganz falsch liegen. Nur: Außer uns selbst kann niemand uns die Validierung geben.
[perfectpullquote align=”full” bordertop=”false” cite=”” link=”” color=”” class=”” size=””]Mit ein bisschen Übung erkennst du deinen inneren Kritiker ganz schnell. Bei mir macht er sich immer bemerkbar, indem er externe Validierung einfordert.[/perfectpullquote]
Natürlich kann dein innerer Kritiker sich auch anders äußern: Vielleicht zählt er dir auf, was in der Vergangenheit alles schiefgelaufen ist. Vielleicht bringt er negative Beispiele aus deinem Umfeld. Vielleicht sagt er Sätze wie: “Was sollen denn da die anderen denken?” Dein innerer Kritiker kennt dich sehr gut. Er wird deine größten Ängste ansprechen und dein Selbstwertgefühl und dich an dem Punkt treffen, der dich am sichersten davon abhalten wird, deinen Traum zu verwirklichen. Und er wird dir das Gefühl geben, dass seine Stimme deine eigene ist, die es nur gut mit dir meint.
Wenn du erst einmal weißt, dass diese Sätze, die in deinem Kopf herumgehen, keine gesicherten Wahrheiten sind, sondern dein innerer Kritiker, der nach Aufmerksamkeit verlangt, kannst du ihm bewusst begegnen. Wie das geht, zeige ich dir im nächsten Tipp.
Tipp 2: Zuhören.
Dein innerer Kritiker macht seinen Job nicht, um dir zu schaden. Im Gegenteil. Er will dich schützen.
(Endlich!)
Wenn er sich meldet, kannst du also erst einmal das tun, was du auch mit deinem quengelnden Nachbarn machen würdest, der täglich am Gartenzaun steht und was von dir will: Hör ihm zu. Was ist sein eigentliches Ziel?
In den allermeisten Fällen will dein innerer Kritiker gar nicht deine Selbstzweifel mehren, dich von der Arbeit abhalten und mit geplatzten Träumen zurücklassen. Das sind Kollateralschäden seiner Arbeit, weil er keinen anderen Weg kennt. In Wahrheit möchte er vor allem, dass du keinerlei negative Erfahrung in deinem Leben machst.
(Die sind nämlich doof.)
Und er glaubt, der beste Weg dahin, der sicherste, ist: Alles so zu lassen, wie es ist. Denn jetzt ist ja auch irgendwie okay, und es kann ja auch alles viel schlimmer kommen. Also am besten gar nichts ändern.
Wenn dein innerer Kritiker sich meldet, setze dich damit auseinander, wovor du jetzt gerade eigentlich Angst hast. Was ist es, wovor diese Stimme dich schützen will? Und bist du bereit, dieses Risiko einzugehen?
Tipp 3: Ernst nehmen. Aber nicht zu ernst.
Wenn du herausgefunden hast, wovor dich dein innerer Kritiker schützen will, solltest du im nächsten Schritt natürlich nicht einfach wegwischen, was da an Ängsten und Sorgen kommt. Aber du solltest auch nicht blind dem folgen, was da kommt. Denn – unter uns – vieles davon ist nicht so wirklich wahrscheinlich. Oder realistisch.
(Naja, also es kann schon einiges passieren …)
Bevor du im nächsten Schritt in die Verhandlung mit deinem inneren Kritiker eintrittst, solltest du ihm ein bisschen von seiner Autorität nehmen. Das geht am besten, indem du ihm ein paar Eigenschaften gibst, die dir zeigen, dass er seine Macht nur deshalb hat, weil du sie ihm gibst.
Wenn ich an meinen inneren Kritiker denke, habe ich ein ganz konkretes Bild vor Augen: Ein kleiner Mann mit Brille und Halbglatze, mit Kaffeeflecken auf dem falsch geknöpften Hemd. Er schaut ständig auf die Uhr, weil Zuspätkommen für ihn ganz schrecklich ist, und er spricht gehetzt und mit sich überschlagender Stimme. Er kommt, um mich zu warnen. Und ich verstehe seine Punkte. Dieses Bild macht mir aber auch klar, dass das seine Ängste sind und nicht meine. Und es löst noch etwas in mir aus: Empathie. Wenn er neben mir am Schreibtisch steht und mir in einem langen Monolog erklärt, was alles passieren könnte, wenn ich nicht auf ihn höre, möchte ich aufstehen, ihm einen Kuss auf seine hohe Stirn geben und ihm versichern, dass alles gut werden wird.
(Wirklich?)
Tipp 4: Verhandeln.
Dein innerer Kritiker hat mit seinen Ängsten normalerweise einen Punkt. Das macht ihn ja so erfolgreich.
(Die Erfahrung.)
Er übertreibt’s halt nur maßlos. Und wenn du seine Sorgen kennst, ihm ein Gesicht und eine Stimme gegeben hast, ist es Zeit, mal ein ernstes Wort mit ihm zu reden. Und ihm einen Kompromissvorschlag zu unterbreiten. Erkläre ihm, wie du dich vor Verletzungen schützt, was du tust, wenn dein Plan nicht aufgeht, wie du seinen Ängsten begegnen wirst. Dann macht ihr einen Deal: Du wirst auf dich so achten, wie du es dir gerade überlegt hast. Und er lässt dich dafür in Ruhe.
[perfectpullquote align=”full” bordertop=”false” cite=”” link=”” color=”” class=”” size=””]Wenn ich an meinen inneren Kritiker denke, habe ich ein ganz konkretes Bild vor Augen: Ein kleiner Mann mit Brille und Halbglatze, mit Kaffeeflecken auf dem falsch geknöpften Hemd.[/perfectpullquote]
Wenn er sich dann doch wieder meldet, …
(Ich hatte noch was vergessen! Jetzt nicht.)
… sagst du ihm, dass das nicht der Deal war. Manchmal hilft es sogar, das laut zu sagen. Und anschließend weiterzumachen.
(Es ist wirklich wichtig. Und ich hatte vorher einfach nicht daran gedacht! Nein. Das war nicht der Deal.)
Tipp 5: Tun.
An der Stelle hast du dich dann wirklich genug mit deinem inneren Kritiker beschäftigt. Und du solltest ihm nicht noch mehr Aufmerksamkeit geben, denn das stärkt ihn nur. Tatsächlich solltest du jetzt anfangen, das zu tun, was du dir vorgenommen hast.
Denn das hat gleich zwei Vorteile:
- Zum einen kannst du schnelle kleine Erfolge produzieren und deinem inneren Kritiker damit beweisen, dass seine Sorgen unnötig waren. Dafür baust du deine Arbeit am besten direkt um diese Erfolge herum auf, indem du dir kleine Zwischenziele setzt, die du innerhalb eines Tages erreichen kannst.
- Und zum anderen greift dein innerer Kritiker natürlich auf dieselben Ressourcen zu wie du. Wenn du deine Konzentration auf dein Projekt richtest und in den Flow kommst, kannst du nicht gleichzeitig deinem inneren Kritiker die Stimme überlassen. Dann ist ganz einfach – Ruhe.
(…)